Schalker und
Borussen feiern versöhnt Gottesdienst

Fröhliche Menschen sieht man am Freitagabend im Stern im Norden,
gewandet in Blau-Weiß und Schwarz-Gelb, zumeist nicht die
allerneusten Modelle. Menschen aller Altersstufen, besonders viele
aber aus der Generation, die den BVB noch in der Regionalliga und der
zweiten Liga Nord kennt und die schon mal was vom Bundesliga-Skandal
gehört haben. Man ist routiniert im Umgang miteinander, man kennt
sich – der heutige Derby-Gottesdienst ist schon der elfte. Die
Schalker tapezieren die Wand mit ihrem Banner und bauen einen Stand
mit der ‚Schalke-Bibel‘ auf, die Dortmunder machen derweil die
Würstchen heiß und richten die Technik her – ein wenig ist
Derbygottesdienst schon nichts mehr Besonderes, sondern business as
usual. Die Gottesdienste, die im Wechsel von der katholischen
Theologin Anke Ballhausen aus Gelsenkirchen und dem
Parkettlegemeister Dirk Haslinde aus Hagen moderiert werden sind ein
Stück ökumenische Normalität geworden: Nicht nur Schalker und
Borussen harmonieren hier, auch Katholiken und Protestanten,
Baptisten und Charismatiker.
4 Dinge, die man
über Gott wissen muss: Er ist so groß, dass er für uns
unerreichbar ist – aber er kommt uns nahe – will unser Freund
sein – wenn wir nur ja sagen!
 |
Dr.-Ing. Paul Nogossek |
Besonders wird
dieser Gottesdienst, als Dirk Haslinde, Präsi des christlichen
BVB-Fanclubs Totale Offensive BVB 09, Dr.-Ing. Paul Nogossek auf die
Bühne ruft. Nogossek ist gelernter Hoeschianer aus Siegen, in der
Wolle gefärbter Schalker seit frühester Kindheit und gelernter
Diplom-Ingenieur, der es bis zum Leiter einer Forschungs- und
Entwicklungsabteilung bei Siemens gebracht hat. Dann erreichte ihn
der Ruf als Prediger. Unter Prostituierten und Obdachlosen auf dem
Kudamm lernte er predigen, und heute ist der Pastor einer Berliner
Gemeinde der Volksmission ein gefragter Gastprediger bei Kirchen
jeder Couleur.
 |
Dr.-Ing. Paul Nogossek |
Mit Witz und
Ernst nimmt er sein gemeindliches Auditorium gefangen. Er bringt alle
zum Lachen, wenn er erzählt, dass er in Gottesdiensten nach
Schalke-Spielen entweder Trost von seiner Gemeinde empfängt – oder
seine Gemeinde einen begeisterten Prediger erlebt – und macht klar:
Hier und heute geht es nicht um Schalke gegen Dortmund – es geht
um’s ganze Leben. Und in wenigen Schritten führt er seine Zuhörer
dazu, wie man dem unerreichbar fernen, ungeheuer Großen Gott und
Schöpfer begegnen kann. Nämlich indem er sich jedem geringsten
Menschen nähert, wie viel Löcher in seinen Strümpfen und sonstige
Sünden und Versäumnisse er auch angehäuft haben mag: Gott kommt
dem ärmsten Sklaven, dem kleinsten Menschen nahe.

Sogar Sergej W.,
der den Anschlag auf das BVB-Team am 11.12.2017 verübt hat, will
Gott nahe sein, sagt Nogossek. Dieser sei, das wisse er schon in
etlichen Gottesdiensten gewesen, habe aber eben noch nicht zu Gott ja
gesagt, sonst wäre er zu dieser furchtbaren Tat nicht fähig
gewesen. Aber obwohl die schreckliche Tat verurteilens- und
verachtenswert sei, ist dieser Mensch Sergej W. für Gott nicht
weiter entfernt als jeder im Gottesdienstsaal – nur ein winziges Ja
entfernt. Und dann bittet Paul Nogossek die Dortmunder für Sergej W.
zu beten, und die Schalker für die Dortmunder zu beten, die noch
immer unter dem Trauma dieser Tat leiden. Und aus Gelben und Blauen
wird eine, stille, betende Gemeinde …
Christen sind
veränderte Menschen, keine besseren …


… und deshalb
freuen sich die Schalker wie Bolle, dass sie beim Dalli-Klick-Spiel
im Gottesdienst mit 5:1 gewonnen haben, lästern die Dortmunder, dass
des Pastors Meisterschaftsschal von 1958 weiterhin ein Unikum bleiben
wird. Aber das ist keine süße Soße, die über Abgründe gegossen
wird: Nochmal TO-Vorsitzender Dirk Haslinde: „Unser Gott, der Gott
der Christen hat die Mörder Moses und David, den Christenverfolger
Paulus und die Hure Rahab zu sich gezogen. Und noch eine Menge mehr
Menschen, deren Lebensläufe als Vorbilder nicht tauglich sind. Und
er zieht auch uns zu sich, so wie wir sind: Als Ehebrecher oder
Süchtige, Diebe oder Alltagstyrannen. Und weil das so ist, können
wir liebevoll über die Schalker frotzeln, oder weniger liebevoll
Schadenfreude empfinden – aber über unsere Lippen kann nicht ‚Tod
und Hass dem S 04‘ kommen. Und wer so viel Respekt haben kann, der
ist herzlich eingeladen mit uns am Sonntag im Stern im Norden den
Derbysieg anzuschauen und zu feiern.“
zur Bildergalerie
Text: Ingo Berchter, Bilder: Oliver Römer