Sonntag, 15. April 2018

Bei Gott kann jeder Derbysieger sein!


Schalker und Borussen feiern versöhnt Gottesdienst



Fröhliche Menschen sieht man am Freitagabend im Stern im Norden, gewandet in Blau-Weiß und Schwarz-Gelb, zumeist nicht die allerneusten Modelle. Menschen aller Altersstufen, besonders viele aber aus der Generation, die den BVB noch in der Regionalliga und der zweiten Liga Nord kennt und die schon mal was vom Bundesliga-Skandal gehört haben. Man ist routiniert im Umgang miteinander, man kennt sich – der heutige Derby-Gottesdienst ist schon der elfte. Die Schalker tapezieren die Wand mit ihrem Banner und bauen einen Stand mit der ‚Schalke-Bibel‘ auf, die Dortmunder machen derweil die Würstchen heiß und richten die Technik her – ein wenig ist Derbygottesdienst schon nichts mehr Besonderes, sondern business as usual. Die Gottesdienste, die im Wechsel von der katholischen Theologin Anke Ballhausen aus Gelsenkirchen und dem Parkettlegemeister Dirk Haslinde aus Hagen moderiert werden sind ein Stück ökumenische Normalität geworden: Nicht nur Schalker und Borussen harmonieren hier, auch Katholiken und Protestanten, Baptisten und Charismatiker.



4 Dinge, die man über Gott wissen muss: Er ist so groß, dass er für uns unerreichbar ist – aber er kommt uns nahe – will unser Freund sein – wenn wir nur ja sagen!


Dr.-Ing. Paul Nogossek
Besonders wird dieser Gottesdienst, als Dirk Haslinde, Präsi des christlichen BVB-Fanclubs Totale Offensive BVB 09, Dr.-Ing. Paul Nogossek auf die Bühne ruft. Nogossek ist gelernter Hoeschianer aus Siegen, in der Wolle gefärbter Schalker seit frühester Kindheit und gelernter Diplom-Ingenieur, der es bis zum Leiter einer Forschungs- und Entwicklungsabteilung bei Siemens gebracht hat. Dann erreichte ihn der Ruf als Prediger. Unter Prostituierten und Obdachlosen auf dem Kudamm lernte er predigen, und heute ist der Pastor einer Berliner Gemeinde der Volksmission ein gefragter Gastprediger bei Kirchen jeder Couleur.


Dr.-Ing. Paul Nogossek
Mit Witz und Ernst nimmt er sein gemeindliches Auditorium gefangen. Er bringt alle zum Lachen, wenn er erzählt, dass er in Gottesdiensten nach Schalke-Spielen entweder Trost von seiner Gemeinde empfängt – oder seine Gemeinde einen begeisterten Prediger erlebt – und macht klar: Hier und heute geht es nicht um Schalke gegen Dortmund – es geht um’s ganze Leben. Und in wenigen Schritten führt er seine Zuhörer dazu, wie man dem unerreichbar fernen, ungeheuer Großen Gott und Schöpfer begegnen kann. Nämlich indem er sich jedem geringsten Menschen nähert, wie viel Löcher in seinen Strümpfen und sonstige Sünden und Versäumnisse er auch angehäuft haben mag: Gott kommt dem ärmsten Sklaven, dem kleinsten Menschen nahe.






Beter für den Attentäter


Sogar Sergej W., der den Anschlag auf das BVB-Team am 11.12.2017 verübt hat, will Gott nahe sein, sagt Nogossek. Dieser sei, das wisse er schon in etlichen Gottesdiensten gewesen, habe aber eben noch nicht zu Gott ja gesagt, sonst wäre er zu dieser furchtbaren Tat nicht fähig gewesen. Aber obwohl die schreckliche Tat verurteilens- und verachtenswert sei, ist dieser Mensch Sergej W. für Gott nicht weiter entfernt als jeder im Gottesdienstsaal – nur ein winziges Ja entfernt. Und dann bittet Paul Nogossek die Dortmunder für Sergej W. zu beten, und die Schalker für die Dortmunder zu beten, die noch immer unter dem Trauma dieser Tat leiden. Und aus Gelben und Blauen wird eine, stille, betende Gemeinde …


Christen sind veränderte Menschen, keine besseren …


… und deshalb freuen sich die Schalker wie Bolle, dass sie beim Dalli-Klick-Spiel im Gottesdienst mit 5:1 gewonnen haben, lästern die Dortmunder, dass des Pastors Meisterschaftsschal von 1958 weiterhin ein Unikum bleiben wird. Aber das ist keine süße Soße, die über Abgründe gegossen wird: Nochmal TO-Vorsitzender Dirk Haslinde: „Unser Gott, der Gott der Christen hat die Mörder Moses und David, den Christenverfolger Paulus und die Hure Rahab zu sich gezogen. Und noch eine Menge mehr Menschen, deren Lebensläufe als Vorbilder nicht tauglich sind. Und er zieht auch uns zu sich, so wie wir sind: Als Ehebrecher oder Süchtige, Diebe oder Alltagstyrannen. Und weil das so ist, können wir liebevoll über die Schalker frotzeln, oder weniger liebevoll Schadenfreude empfinden – aber über unsere Lippen kann nicht ‚Tod und Hass dem S 04‘ kommen. Und wer so viel Respekt haben kann, der ist herzlich eingeladen mit uns am Sonntag im Stern im Norden den Derbysieg anzuschauen und zu feiern.“


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Text: Ingo Berchter, Bilder: Oliver Römer

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